Spurensuche an der E-Klasse (W 210)

Es gibt Ikonen der Technik, an denen nie ein Journalist rütteln würde. Bei Ikonen wird wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie besser sind. Mercedes-Karosserien zum Beispiel: sicher wie eine Burg, gebaut aus hochfesten Stählen und überlegen in jedem Crashtest. Selbst die Heckflossen-Daimler der Sechziger, aus heutiger Sicht wahre Schnellroster, hielten ein paar Streusalzwinter mehr aus als andere Autos. Und vom mittlerweile legendären W 124 der Achtziger erwarten wir, dass er mit ein wenig Pflege 50 Jahre hält.

Deshalb sprang bei AUTO BILD auch niemand im Dreieck, als zwei Leser Rost an den Türen ihrer neuen E-Klasse meldeten. Kann ja mal vorkommen, eine Meldung in der Rubrik Kummerkasten, ein Satz neue Türen für 8000 Mark – und alles ist wieder gut. Von wegen! Auf den Kummerkasten-Artikel kamen neue Briefe. In allen monierten die Fahrer Rost an den Fensterrahmen der vier Türen. Und zwar unter der Dichtung, die den Spalt zum Dach verschließt. Das wollten wir selbst sehen, trafen uns mit einem E-Klasse-Besitzer und seinem Fahrzeug, Baujahr 96. Das tief rostbraune Ergebnis zeigen wir hier in der Bildergalerie. Allerdings beschränkten wir uns bei der Untersuchung nicht nur auf die Fensterbügel, sondern blickten mit dem Storz-Endoskop auch noch in die Hohlräume der Karosserie.

Von einer gleichmäßigen Beschichtung mit Korrosionsschutzmittel kann zumindest bei diesem Fahrzeug keine Rede sein. Teile der vorderen Längsträger triefen geradezu vor Wachs, wenige Zentimeter daneben liegt lediglich grundiertes Blech. Da mussten wir nicht lange nach Rostspuren suchen, schließlich ist auch das Bodenblech abseits der Radkästen nahezu ungeschützt. Nur eine dünne Schicht Lackgrund trennt das nackte Blech von der aggressiven Außenwelt, stellenweise ist es bereits angerostet.

Der Rost ist kein Einzelfall

Ein Einzelfall? Nein. Bei der Endoskopie einer weiteren 96er E-Klasse entdeckten wir noch schlimmere Korrosion innerhalb der Karosserie, die Bilder zeigen wir in der nächsten Woche. Außerdem untersuchten wir die Fensterbügel von rund 20 Vieraugen aller Baujahre. Bei etwa der Hälfte waren Rostspuren sichtbar, in unterschiedlichem Umfang: Teilweise war nur ein Hauch von Braun zu ahnen, ein Fensterrahmen jedoch war bereits durchgerostet.

Wichtigste Erkenntnis: Der Rost lässt sich nicht auf bestimmte Baujahre beschränken, von 96 bis 2000 war alles dabei. Zum 95er können wir nichts sagen - aus diesem Jahr ist uns bislang noch keiner unter die Linse gekommen. Finden lässt sich der Rost ganz einfach: An der Oberkante der Tür das Gummi um 180 Grad zur Innenseite aufbiegen und so das Blech freilegen – an dem abwärts führenden Winkel des Rahmens wird der Gammel zuerst sichtbar. Noch unklar ist die Frage der Beseitigung. In drei Fällen hat Mercedes kostenlos alle vier Türen erneuert. Anderen E-Klasse-Fahrern dagegen wurden lediglich 50 Prozent Kulanz angeboten. Wir gehen davon aus, dass Mercedes in Kürze eine einheitliche Regelung anbietet. Schließlich gilt es, das Vertrauen der Kunden in die Marke zu erhalten.

Dies trifft umso mehr zu, als die E-Klasse auf allen anderen Gebieten zu einem der solidesten Fahrzeuge überhaupt gereift ist. Ständige Wehwehchen älterer Baureihen wie ausgeleierte Lenkgetriebe sind bei diesem Benz kein Thema mehr, Spiel in den Radaufhängungen tritt höchstens nach taxiverdächtigen Laufleistungen auf. An alte Sünden der Mechanik erinnert nur noch das chronisch undichte Differenzial. Sicher, Einarmwischer und die harten Sitze sind nicht jedermanns Sache. Aber sie gehören zu diesem Mercedes wie der bislang niedrige Wertverlust. Ob der so bleibt, liegt nun in den Händen des Kundendiensts. Denn Sterne mit Rostpickeln sind wahrlich eine schlechte Zierde für die Ikonen des Karosseriebaus.

Historie, Schwächen, Kosten

Modellgeschichte 5/95 Anlauf der Baureihe in der Stufenheckversion, drei Benziner von 136 bis 220 PS, zwei Diesel mit 95 und 136 PS 9/95 weitere Motorversionen E 280, 430 und 290 Turbodiesel 4/96 Einführung T-Modell (Kombi), nicht als E 280 und E 220 Diesel 12/96 Vorstellung Allradantrieb 4-Matic, nur als E 280 mit V6-Motor 3/97 E 280 und E 320 erhalten neue Generation von V-Motoren, Einführung 300 Turbodiesel 7/98 neue Dieselmotoren E 200 CDI und 220 CDI 7/99 Modellpflege 1/01 Ablösung durch die Nachfolger-Baureihe W 211

Schwachstellen • Differenzial ist häufig leicht undicht, speziell beim Baujahr 96 kann es auch größere Ölmengen verlieren. Klacken beim Lastwechsel ist normal, jaulen darf es jedoch nicht • Glühlampen können bis etwa 97 öfter als üblich durchbrennen, weil Spannungsspitzen in der Stromverteilung auftreten. Betroffen sind meistens die Halogen-Standlichtlampen • Lichtmaschinen versagen vor allem bei den verschiedenen Dieseln • Keilrippenriemen zum Antrieb der Nebenaggregate wird gern vergessen, hält aber nicht ewig. Austausch alle 90.000 km wird empfohlen • Radaufhängungen zeigen nach hohen Laufleistungen Verschleiß an Kugelbolzen vorn und Silentbuchsen der Schubstreben hinten

Reparaturkosten Preise inklusive Lohn und Mehrwertsteuer am Beispiel Mercedes E 230 Elegance, 100 kW/136 PS, Bj. 96. Bei den Verschleißteilen zeigt Mercedes Zurückhaltung, das verlangt schon die Taxizunft. Mechanische Bauteile sind teuer, allerdings auch selten defekt.

Fazit und Modellempfehlung

Fazit "Die Rostprobleme sind eher optischer Art, auf die Sicherheit haben sie noch keine Auswirkungen. Die häufigsten Beanstandungen ruft vielmehr Ölverlust am Antrieb hervor, meistens ist das Differenzial undicht. Aber auch Getriebe und Motor kleckern im Vergleich zu früher mehr. Behoben dagegen sind die früher permanenten Probleme mit Feststellbremse und Lenkung - in beiden Disziplinen gehört der W 210 zu den Musterknaben." Gunnar Dahm, Gutachter TÜV Rheinland/Berlin-Brandenburg

Modellempfehlung Mercedes E 230 Elegance (100 kW/136 PS)

Steuer/Schadstoffklasse: 276 Mark im Jahr/Euro 2 Testverbrauch: Werksangabe 10,5 Liter, gemessen 10,9 Liter (Super) Versicherung: Vollkasko (25/1000 Mark SB): 3031 Mark. Teilkasko (28/300 Mark SB): 386 Mark. Haftpflicht (17): 1848 Mark (Basis: HUK-Jahrestarife für Regionalklasse Berlin, 100 Prozent) Inspektion: 15.000 Kilometer. Kosten: etwa 500 bis 700 Mark Wertverlust: Vier Jahre nach dem Auslaufen hat der E 230 exakt 50 Prozent verloren, weiterhin etwa 2500 Mark jährlich